Das 6-Phasen Modell

Das Modell der Konfliktphasen hilft dabei, einen klaren Blick für die jeweilige Situation zu bekommen und diese auch ohne viel eigene Erfahrung etwas besser einschätzen zu können. Vor allem drei sehr sicherheitsrelevante Punkte kann Dir dieses Phasenmodell liefern. Wir kommen am Ende dieses Abschnittes dazu.

 

Phase 1 - Vorphase, Anbahnung

Phase 2 - Erhitzung

Phase 3 - heiße Phase (A): Stabilisieren/Fangen oder Präventiv/überraschen

Phase 4 - heiße Phase B: Wirkung und ggf Schaden verursachen und (oder) kontrollieren

Phase 5 - Abkühlung

Phase 6 - Sicherheitsphase

 

Heiße Phase - das ist die Phase, an die man in der Regel denkt, wenn man Selbstverteidigung oder auch Kampfsport im Kopf hat. Hier fliegen Fäuste oder Füße entgegen, es wird gezerrt, gegriffen, geschubst und so weiter. In meinem Modell habe ich diese Phase noch mal aufgeteilt in A und B. Vor allen Dingen, um Dir etwas damit zu verdeutlichen: Echte Gewalt sieht nicht aus wie in Actionfilmen.

 

Heiße Phase (A)

Die Vorstellung vieler Menschen ist aber von dem Idealbild des Actionhelden und seinem Umgang mit Gefahr und Gewalt geprägt und leider schlägt sich das meiner Meinung nach auch nieder in Vorstellungen von Menschen (auch Trainingserfahrenen und hochrangigen Schwarzgurten und dergleichen) in der Welt von Kampfkunst, Kampfsport und Selbstverteidigung. Oft wird davon nicht davon ausgegangen, dass eine psychische und physische Stabilisierung nötig sei - denn im Training (kursiv) ist sie das auch nicht. Aber dort ist man vorbereitet, gewarnt und bewusst über das ob, das wann, das wie und das womit eines zu übenden Angriffes.

Es wird vielerorts massiv unterschätzt, was für einen gewaltigen Unterschied es macht, wenn diese drei Faktoren ungewiss sind. Von Angst und Stress reden wir dabei noch nichtmal, das kommt natürlich noch zusätzlich dazu.

Diese Faktoren führenin eienr echten Situation unter Umständen dazu, dass Du Dich erst emotional und psychisch stabilisieren musst.

Das kann sich sehr unterschiedlich äußern. Zum Beispiel kann das auch heißen, einen Schreckmoment zu überwinden. Oder einen Moment der Empörung, des Unglaubens und der Verleugnung zu überwinden. Es kann heißen, eine Starre zu überwinden oder auch einfach nur eine Überraschung zu überwinden und wieder einen stabilen Stand und Vorwärtsdruck zu finden, weil Du überraschend geschubst, gedrängt, gezerrt oder auch einfach getroffen wurdest.

 

Wenn keiner dieser Momente auch nur im Geringsten in einer Situation eine Rolle spielt, ist man entweder James Bond - oder vielleicht selber der “Angreifer”. Auch das kann durchaus nötig und erlaubt sein. Präventiv angreifen ist eine effektive Strategie, die in der richtigen Situation völlig in Ordnung ist. Wir werden das an späterer Stelle besprechen!

 

Wirst jedoch in irgendeiner Form überrascht oder auch nur etwas kalt, auf dem falschen Fuße oder an einem schlechten Tag, in Gedanken oder sonst irgendeiner normalen Situation, wirst Du diese Phase durchlaufen.

 

Egal ob Du aus dem nichts angemacht wirst “ey Du Hurensohn, was glotzt Du meine Freundin an?” mit emotionalem Aufbau mit dem typischen folgenden Geschubse oder Stirn an Stirn Einschüchterung, Beschimpfung usw. zu tun hast oder auch hinterhältig geplanter getestet wirst: “weißt Du wie spät das ist?” “Hast Du mal Feuer” etc. und es eher in Richtung überfallartige Gewalt geht:

 

Für alle, die eigentlich keine Gewalt mögen, wird es etwas Zeit brauchen, um in die Situation zu finden, zu akzeptieren, dass Du JETZT und in diesem Moment Gewalt einsetzen wirst, jemand anderer tatsächlich versuchen wird/versucht, Dich zu verletzen und Du ihn wahrscheinlich verletzen wirst.

Wenn Du das nicht erwarten würdest, sondern fest davon ausgehst, dass Du in einem Wimpernschlag von den Gedanken/Gefühlen in Deinem Kopf a la: “wer ist das, was will der, das ist doch kein Grund um sich so…”, umschaltest auf Jason Bourne Mode, dann wird Dich die Realität eventuell sehr hart überraschen. Das kann die Situation sogar noch verschlimmern und zu einer längeren Starre, inaktivität und Performancehemmung bei Dir führen, als wenn Du weißt und Dich nicht darüber wunderst, dass Du Zeit brauchst, um “den Schalter” umzulegen.

 Das ist ein Teil der gemeint ist, wenn es heißt: “Selbstverteidigung beginnt im Kopf” oder: “es liegt alles am Mindset”.

Für eine korrekte Vorstellung sollte noch mal darauf hingewiesen werden, dass diese Phase durchaus kurz sein kann. Vielleicht ist es nur eine Schrecksekunde / Sekundenbruchteil. Vielleicht bist Du genug vorbereitet, für eine schnelle Abwehrbewegung und eine sofortige Übernahme der Initiative. Vielleicht merkt man Dir diese Phase gar nicht von außen an und Du durchläufst sie, bevor (kursiv) ein Angreifer körperlich wird - und startest vielleicht selber präventiv körperliche Handlungen. Jedenfalls kannst Du nun in Deinem Training berücksichtigen, dass es diese Phase geben kann und wirst in der realen Situation nicht mehr von dieser Phase überrascht oder sogar schockiert sein.

Rein technisch gibt es einige Lösungen, um diese Phase gut zu überstehen, wir werden sie in den Bereichen “Full Cover” und “Instinktive Abwehr” im Detail behandeln.

 

Heiße Phase (B)

Hier gilt es die Initiative zu übernehmen und den Angreifer massiv unter Druck zu setzen und Wirkung hervorzurufen.

In welche Richtung es geht, hängt von der Situation ab. Vielleicht ist Dein Ziel hier, Dir eine Fluchtmöglichkeit zu erschaffen. Vielleicht scheidet diese Option aber auch aus, weil das die Umgebung nicht ermöglicht oder weil Du nicht alleine unterwegs bist und nicht alle die gleichen Möglichkeiten des schnellen Laufens haben.

In diesem Fall willst Du nicht nur Wirkung, sondern auch Schaden oder Kontrolle beim Angreifer erreichen. Wenn Du Anfänger im Training bist, dass ist Kontrolle in der Regel ein zu hoch gestecktes Ziel, wenn Du Deinem Angreifer nicht mindestens etwas körperlich überlegen bist.

Schaden verursachen bis dieser keine Lust mehr hat oder nicht mehr in der Lage ist, weiter anzugreifen ist dann ein realistischeres Ziel.

Dafür musst Du die Bereitschaft mitbringen.

 

Die heiße Phase findet im großen und ganzen in den Distanzen

 

Stand Up - Clinch - Ground

Statt. Also grob übersetzt Schlag- und Tritt-bereich oder -Distanz, Ringende/Greifende/Klammernde Distanz und am Boden, weil einer oder beide Beteiligte zu Boden gestürzt sind.

 

Abkühlung

 

- es entsteht ein Abstand von wenigen Metern, der aber ausreicht, um eine physische Pause herbeizuführen. Es kann zu agitiertem Verhalten, Beschimpfungen aber auch zu ruhigem Taxieren oder Umdrehen und weggehen kommen. !WICHTIG!

 

Sicherheitsphase

Die Sicherheitsphase beginnt, wenn eine massive, schwer überwindliche Barriere oder mehrere Kilometer Abstand zwischen den Beteiligten der Auseinandersetzung sind und die Wahrscheinlichkeit der Wiederbegegnung an diesem Tag nahe null ist. Beispiele dafür können sein: Du sitzt im Taxi nach hause; Du bist mit Deinem Auto losgefahren; Dein Ziel ist dem Angreifer nicht bekannt und er hat auch kaum möglichkeit, Dein Fahrzeug zu stoppen.

Der Angreifer sitzt im Polizeifahrzeug und die Tür ist verschlossen. Du sitzt im Polizeifahrzeug und die Tür ist verschlossen. So was in der Art.

 

In der Sicherheitsphase geht es darum, Deine Sicherheit aufrechtzuerhalten und Deine medizinische, soziale und rechtliche Sicherheit zu gewährleisten.

 

 

 

Wichtigste Takeaways für Deine Sicherheit:

-Es kann durchaus sein, dass die Vor- oder Aufbauphase ebenso wie die Erhitzungsphase ohne Dein zutun und sogar ohne Deine Anwesenheit abgelaufen ist.

 

-geh davon aus, dass Du Dich bei einem Angriff erst physisch und psychisch stabilisieren musst. Das kann sehr schnell gehen oder auch ein paar Sekunden dauern.

 

 

-Es kann zu einem Kreis kommen, bei dem sich schon durchlaufene Phasen wiederholen. Eine Abkühlung führt also NICHT automatisch zur Sicherheitsphase. Das ist ein Denkfehler, dem viele Menschen unterlegen. Nach einer Abkühlung kann es wieder in die Erhitzung und in die heiße Phase laufen.