Der kleine Unterschied - Kampfsport und Selbstverteidigung: Regeln

"Auf der Straße gibt es keine Regeln" heißt es - aber stimmt das auch? In diesem Video kläre ich ein bisschen über das Thema auf und schlage den Gedanken vor, auch auf der Straße 'Regeln' in sein Training einzubeziehen. Diese 'Regeln' heißen: Gesetze.

 

Hier geht es zum Video: https://youtu.be/3MwRrYQXN7w

 

Und hier ist der Artikel zum Notwehrrecht:

 

Notwehr ist ein mit ein paar Vorurteilen und Irrtümern versetztes Thema; besonders im Bereich Kampfkunst geistern Mythen herum, wie z.B. 
"Die Pflicht zu warnen (am besten noch 3 mal)", "Verhältnismäßigkeit ist ganz wichtig", "Hände von Kampfsportlern zählen wie Waffen", "Du darfst eh gar nichts als Verteidiger" usw.

Was die wenigsten wissen: wir haben in Deutschland tatsächlich ein weltweit vergleichbar sehr weitreichendes Notwehrrecht; es gibt z.B. keine Verhältnismäßigkeitsprüfung oder auch keine Pflicht zurückzuweichen.

Was Ihr wissen müsst erklärt dieser Artikel und beantwortet dabei die Fragen:

Was ist Notwehr?
Wann darf ich mich in Notwehr mit Gewalt verteidigen?
Wie darf ich mich verteidigen?


Notwehr ist die erforderliche Verteidigung gegen einen gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff auf ein rechtlich geschütztes Gut. Geregelt ist dies in § 227 BGB

Juristische Sprache ist sehr präzise. Eine rechtmäßige Selbstverteidigung muss genau in diesem Rahmen erfolgen. Wir schauen uns die Voraussetzungen von hinten nach vorne an:

A Rechtlich Geschütztes Gut: Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit, Eigentum, Ehre

B Rechtswidrig: Der Eingriff, gegen den sich gewehrt wird, ist rechtswidrig, also nicht durch das Gesetz und Recht erlaubt. Gegen einen rechtmäßigen Eingriff kann man also keine Notwehr begehen. (Bsp.: Notwehr gegen Notwehr ist nicht zulässig; eine rechtmäßige Polizeimaßnahme ist auch nicht Notwehrfähig)

C Gegenwärtig: Gerade stattfindender, andauernder oder unmittelbar bevorstehender Angriff. Ist ein Angriff also beendet, gibt es danach keine Notwehr mehr!! Erlaubt ist demnach aber, einen unmittelbar bevorstehenden Angriff vorher zu verhindern!

D Erforderliche Verteidigung: Die Verteidigung sind alle Abwehrhandlungen, bei denen in ein Rechtsgut des Angreifers eingegriffen wird ( Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit). Erforderlichkeit richtet sich nach den Mitteln des Verteidigers, NICHT nach dem angegriffenen Rechtsgut! Es ist also egal, ob es sich um ein simples Festhalten oder einen Schlag- und Tritthagel eines Angreifers handelt; stattdessen wird betrachtet, welche Möglichkeiten der Verteidiger hat, um den Angriff zu unterbinden. 


Also nochmal: Nicht der Angriff bestimmt die Befugnis und Umfang der Notwehr, sondern die Möglichkeiten des Verteidigers, diesen zu unterbinden! Erforderlich bedeutet daher auch, dass der Verteidiger den Angreifer nur so stark schädigt, wie im Rahmen seiner Möglichkeiten nötig. Der Verteidiger darf das Mittel wählen, was ihn selber nicht gefährdet, aber bei mehreren Möglichkeiten, die gleichermaßen sicher zum Erfolg führen dann die wählen, die den Angreifer unbeschadeter lässt.

Daher gibt es in der Notwehr keine "Verhältnismäßigkeit", weil man eben nicht sich dem Angriff entsprechend verhältnismäßig verteidigen darf, sondern den eigenen Mitteln entsprechend so, wie es nötig ist, um sich zu schützen! Es geht also um "Erforderlichkeit".

Einschränkungen gibt es in folgenden Fällen:

-Angriffe schuldlos handelnder (Volltrunkene, Kinder, geistig Behinderte)

-Bagatellen im Rahmen des sozial zu Ertragenden

-Garantenstellung (besonderes Verhältnis der Betroffenen, z.B. Betreuer, eng Verwandte usw.)

-Notwehrprovokation (jemanden zum Angriff provozieren und dann zu verprügeln ist keine Notwehr.[Das sollte klar sein, oder?])

-Extremes Missverhältnis der Rechtsgüter (Gesunder Menschenverstand: Ist der Angriff / der Schaden für mich nicht sehr groß, darf ich keine verheerenden Mittel gegen den Angreifer anwenden, selbst, wenn ich keine milderen Mittel wählen kann. Bsp:. Ein Rollstuhlfahrer dürfte einen Kirschendieb nicht mit einer Flinte vom Baum schießen, auch wenn er sonst kein anderes Mittel hat, um den Diebstahl der Kirschen zu verhindern.)

Fazit: Notwehr gilt nur unmittelbar vor oder während des Angriffs, sofort danach bereits nicht mehr! Einen sicher unmittelbar gleich erfolgenden Angriff darf man vorher verhindern. Man darf den Angriff für sich sicher beenden, aber den Angreifer nicht mehr schädigen, als dafür nötig. (Kein zu krasses Mißverhältnis zwischen Angriff und Verteidigung; gesunder Menschenverstand).

Eine Pflicht, zurückzuweichen, sich zurückzuziehen ergibt sich aus dem Gesetz grundsätzlich nicht (Das Recht braucht dem Unrecht nicht weichen) - aus Sicht der Selbstverteidigung ist das in der Regel aber erheblich cleverer und macht sich auch vor Gericht besser (nicht vergessen: das Gericht muss auch überzeugt werden, dass alle Notwehrvorraussetzungen erfüllt sind!)

Im Gesetz steht also nichts von warnen, Kampfsportlern oder ähnlichen Mythen. Was zu diesem urbanen Mythos führte ist folgendes:

Bei der Prüfung der Erforderlichkeit stellt sich die Frage: was ist das Mittel, dass der Angegriffene sicher wählen konnte. Es könnte sein, dass die Anforderungen an einen Kampfsportler da größer sind, weil man ihm unterstellt, sich kontrolliert wehren zu können und unter Umständen einen unterlegenen Angreifer auch mit milderen Mitteln abwehren zu können, als ein Nicht-Kampfsportler gleicher Größe und Kraft.

 

Für den physisch kompetenten ist eben nicht ganz so viel Gewalt erforderlich.