Make Krav Maga Great Again 1

Krav Maga ist das am schnellsten wachsende Selbstverteidigungssystem überhaupt.

 

Die Nachfrage nach einem funktionellen, realistischen Art der Selbstverteidigung ist hoch und Krav Maga macht das Versprechen, dass es leichter erlernbar ist, als andere, traditionelle Kampfkünste, Kampfsportarten oder andere Selbstverteidigungssysteme.

 

Das stimmt auch. Es gibt jedoch zwei problematische Entwicklungen im Krav Maga, die ich vor allem über die letzten zehn Jahre beobachtet habe.

 

Hier ist das erste Problem: mangelnde Entwicklung.

 

Krav Maga betreibe ich selber seit 2004, Kampfsport und Selbstverteidigung seit 2001. In diesen 17 Jahren hat sich die Selbstverteidigungs- und Kampfsportwelt deutlich verändert. MMA ist groß und bekannt geworden, Youtube ist großgeworden, Mitschnitte von Überwachungskameras und Handyfilme sind in großer Zahl verfügbar; der Austausch und die Informationsmöglichkeiten sind exponentiell gewachsen. Eine Reihe von hervorragenden Systematikern und Analytikern hat wichtige Arbeit geleistet, Gewalt- und Stresssituationen mit ihrer Dynamik und den Vorgängen im Körper und im Gehirn verständlich zu machen und realistischere Trainingsmodi dafür zu entwickeln (Rory Miller, Marc McYoung, Tim Larkin, Tony Blauer. Die solltest Du alle Lesen bzw. Dir anschauen!).

 

Neue, ebenfalls effektive Selbstverteidigungssysteme wie Keysi oder Defence Lab sind aufgetaucht. MMA hat die funktionelle Wirksamkeit von Systemen wie Muay Thai und Brazilian Jiu-Jitsu gezeigt.

 

Veraltet

 

An dieser Stelle muss ich harte Kritik an den großen israelischen Verbänden üben. Sie haben diese Entwicklung, insbesondere der letzten zehn Jahre wenig mitgemacht. Es fehlt an einer Weiterentwicklung, die hätte stattfinden können.

Abbildung 1 So eine Haltung sollte man im Kampf zu keiner Zeit haben.

 

Als Beispiel nehmen wir eine der ikonischsten Techniken im Krav Maga: die klassische 360 Defense mit gleichzeitiger Abwehr.

 

Das Konzept ist OK. Es kann klappen. Als ich zum ersten mal damit in Berührung kam, das ist jetzt 15 Jahre her, klang es für mich nicht nur logisch, sondern geradezu revolutionär. Gleichzeitig verteidigen und angreifen, das ist doch viel effektiver als ich es aus Ju-Jutsu oder Karate kannte. Damals war ich noch naiv und recht am Anfang meiner Trainingskarriere. Auch war ich selbst noch lange kein Trainer.

 

Heute sehe ich es anders. Ich erkläre, warum.

 

Stress.

 

Unter dem Stress einer Gewaltsituation sinkt die Koordinationsfähigkeit. Außerdem ändert sich der Verarbeitungsmechanismus im Gehirn. Dadurch wird es noch viel Schwieriger, sich auf zwei Dinge gleichzeitig zu konzentrieren, wie in der Trainingsumgebung. Im Sparring oder echten Kampf ist es Herausforderung genug, hart, genau und wirksam zu treffen. Absolut machbar, aber eine Herausforderung. Bei welcher Training natürlich hilft. Gleichzeitig aber 50% seiner Aufmerksamkeit einem Block widmen zu wollen ist einfach nicht realistisch. Im Sparring oder in der Realität zeigt sich, dass es schwierig genug ist, Treffer des Gegners zu verhindern.

Deckung

Schnell merkt und lernt man bei einem halbwegs tauglichen Gegner, dass man die eigene Deckung tunlichst nicht zu weit vom eigenen Kopf entfernen sollte. Eine enge Abwehr mit einem sogenannten Frame ist da deutlich effektiver und machbarer. Nicht umsonst sieht man im Sparring und in Realität so gut wie nie eine klassische 360 Defense mit gleichzeitiger Abwehr. Dafür sieht man sehr häufig funktionieren: eine Enge Abwehr als Frame.

 

Als Fazit:

 

1.)50% Abwehr reicht nicht. 50% Angriff reicht nicht. OK reicht nicht. Zwei mal halbe Sachen gemacht ergibt in der Realität mit etwas Pech gar nichts. Das erfüllt nicht den Anspruch: unter Stress einsetzbar, leicht zu lernen, schnell einsetzbar! Es gibt einen viel, viel besseren Weg, um Verteidigung und Angriff gleichzeitig zu machen.

 

2.) Auch alleine ist die klassische, unmodifizierte 360 Defense nicht optimal. Es ist ein Risiko, den eigenen Arm so weit vom eigenen Kopf zu entfernen und dieses sollte nur sehr stark in ein strategisch abgestimmtes ergänzendes Vorgehen eingebettet werden. Gleichzeitig mit der Faust zum Kopf schlagen zu wollen, ist nicht so ein sinnvolles Vorgehen.

Abbildung 2 - Messerabwehr am Boden: aber bitte nicht so. Den Rücken zudrehen ist wirklich nicht gesund. Der Tritt zum Kopf, der folgen könnte ist hier nur eines von vielen Problemen.

 

 

Quellen und Grappling.

 

Ich erlaube mir die blasphemische Behauptung, dass man merkt, dass es den IKMF und KMG Granden an Cross-Sparring Erfahrung mangelt oder sie diese nicht in das Krav Mag einbauen möchten.

 

Letzteres kann ich sogar verstehen. Es ist einfacher und bequemer und vermutlich auch profitabler, bei den alten Aussagen: „In der Selbstverteidigung geht man nicht zu Boden, also muss man auch nicht ordentlich Bodenkampf können“ oder „Wir brauchen nicht Clinchen, wir schlagen einfach“ zu bleiben. Es ist immer leichter, die Aussage zu verkaufen: ‚Ihr müsst Euch nicht zu tief damit beschäftigen. So ein bisschen reicht‘. (Siehe diverse Diätpillen oder 20min Fitnessprogramme…)

 

So wird Krav Maga von einem ernstzunehmenden Kampfsystem zu einem Fitnessprogramm mit mittelmäßigem Boxen und einigen ganz guten Befreiungen (und ein paar schlechten) und mittelmäßigem Grappling degradiert.

 

Das muss nicht sein.

 

Es erfordert nur einige Änderungen an Technik und Taktik, um Up To Date zu sein und Erkenntnisse, die MMA, Straße und internationale Zusammenarbeit und ansteigen an verfügbarer Information in den letzten zehn Jahren geliefert haben zu berücksichtigen. Weg mit der 360 Defense in der klassischen Form. Weg mit dem einhändigen Messer greifen und Handgelenk hebeln (funktioniert zu schlecht). Weg mit der Plucking Defense beim Würgen. (Bei wirklichem Druck stürzt der Verteidiger). Ersetzt durch ein paar Grappling Grundlagen und etwas Augenmerk auf bessere Körpermechanik bei Schlägen sowie bessere Deckung wäre viel erreicht. Es ist kein Hexenwerk. Aber man müsste sich hinstellen und sagen: Hey, wir haben was besseres gefunden, das heißt in den letzten 50 Jahren haben wir das suboptimal gemacht. Und zu diesem Schritt kommt es nicht in ausreichendem Maße. Weil sich Realität nicht so gut verkaufen lässt. Es ist mühsamer. Man muss mehr aufklären, zeigen, beweisen. Mehr lernen von außerhalb des Systems und auch von außerhalb Israels! Lernen vom Muay Thai, BJJ und MMA!

 

Es lohnt sich. Es macht sicherer. Zum besseren Kämpfer.

Abbildung 3 - Es hat einen gewissen Coolness-Faktor, aber wieviel hat es mit realistischer Selbstverteidigung zu tun? Geübt wird die Nutzung eines Sturmgewehres gegen einen unbewaffneten Angreifer. Dazu ein Groinkick mit mittelmäßiger Balancesituation....

 

Militär/Militarismus

 

Auch mich hat die Herkunft aus dem israelischen Milität als Garant für Realismus interessiert. Aber mal ehlich: wem nützt es denn, den Umgang mit einem Sturmgewehr zu lernen im Alltag? Leute, dann lernt doch lieber kämpfen. Besser Boxen, besser Clinchen, bessere Takedowns. Da wäre es viel nötiger, Trainingsschweiß und Fleiß reinzustecken. Aber leider ist Sturmgewehr und Groinkick cooler. Ein besserer Kämpfer wird man durch letzteres nicht. Aber vielleicht braucht es ein bisschen Erfahrung und viel Sparring und gutes technisches Training, um das irgendwann so zu sehen?

Aus marketingtechnischer Sicht ist es, leider optimal. Da heißt es: sei anders. Differenziere Dich. Und Sturmgewehre sind optisch schon mal ganz klar ein Differenzierungsmerkmal. Die wird man weder im Muay Thai, noch im Karate oder im BJJ sehen. Kann man ja auch mal machen. Aber das Ausmaß ist dann wieder die Frage. Es kostet Zeit, in der man auch lernen könnte, besser zu kämpfen (Boxen, Clinchen, Grapplen, treten [und damit meine ich dann eben nicht Basic Groinkicks].